Das Vormoderne Industrierevier der Osteifel (Vulkanpark)
Industrie vor dem Industriezeitalter – gibt es das überhaupt? Jawohl, sagen diese beiden Autoren, vorausgesetzt, man versteht unter "Industrie", dass Produkte in einem standardisierten Herstellungsprozess und in hoher Stückzahl erzeugt wurden. Und das war in der vulkanisch geprägten Osteifel schon bei den Römern der Fall. Ein spannender Beitrag von Dr. Angelika Hunold und Dr. Holger Schaaff.
Vorbemerkung
Industrie vor dem Industriezeitalter – gibt es sie überhaupt? Wird ein vormodernes Revier mit diesem Begriff belegt, sind rasch Zweifel bei der Hand, ob eine Produktion des Mittelalters, der Antike oder sogar der Vorgeschichte mit der Bezeichnung Industrie treffend charakterisiert ist. Doch ist dies vor allem eine Frage der Definition; hier wird als Industrierevier ein Revier verstanden, in dem Produkte in einem standardisierten Herstellungsprozess und in hoher Stückzahl erzeugt wurden. Eine wichtige Voraussetzung hierfür sind gut erreichbare Rohstoffe von hoher Qualität. Hinzu kommt das Vorhandensein von Energielieferanten wie Holz und von ausreichend Wasser. Weiterhin bestimmt die verkehrsgeographische Lage von Lagerstätten und Produktionsanlagen über den wirtschaftlichen Erfolg; doch nur über eine funktionierende regionale und überregionale Infrastruktur kann auch wirklich ein großer Exportraum erschlossen werden. Das Zusammenwirken dieser Faktoren wirkt sich im günstigen Falle, heute noch nachvollziehbar, auch in einer entsprechenden Zahl von Arbeitsplätzen aus.
Doch wie genau erkennt und beurteilt man diese Eigenschaften? Vormoderne Industriereviere lassen sich nur in ihrer Bedeutung erfassen und entsprechend beschreiben, wenn man ihre Entwicklung über längere Zeiträume betrachtet. Dies gilt auch, wenn bestimmte Epochen bedeutsamer für die Entwicklung eines Reviers sind als andere. Ebenso ist es notwendig, nicht nur die wirtschaftlichen Aspekte, sondern das gesamte Umfeld eines Industriereviers in den Blick zu nehmen, also einen ganzheitlichen Forschungsansatz zu verfolgen.
Genau diese Möglichkeiten bietet das Steinbruch- und Bergwerksrevier zwischen Mayen am Rande der Eifel und Andernach am Rhein (Rheinland-Pfalz) im erdgeschichtlich jungen Vulkangebiet der Osteifel. Vor rund 7000 Jahren begann der Mensch die mineralischen Rohstoffe der Osteifel zu nutzen. Daraus entwickelte sich im Laufe der Zeit eines der großen frühen Bergbaureviere der Alten Welt. Seit der spätkeltischen Epoche bis heute werden Rohstoffe und Güter en gros in weite Teile Europas verhandelt: Mühlsteine aus Basaltlava, Bausteine aus Tuffstein und Tongeschirr waren die frühen Exportschlager; Gerät, Schmuck und Waffen aus Gusseisen sowie Baustoffe aus Bims sollten später folgen.
Am Anfang unserer Geschichte …
… steht ein Technologietransfer mit Auswirkungen von europäischer Dimension: Mit der zweiteiligen drehbaren Mühle wurde in spätkeltischer Zeit eine effiziente Maschine aus dem Mittelmeerraum übernommen, die den zuvor gebräuchlichen Getreidereiben bei weitem überlegen war. Wie aktuelle Vulkanpark-Forschungen gezeigt haben, begründete diese Technik, in Verbindung mit der bewussten Verwendung des Qualitätsgesteins Basalt, den herausragenden wirtschaftlichen Erfolg der Osteifeler Mühlenproduktion. Oder anders ausgedrückt: Mayener Mühlen waren für die Verarbeitung des Grundnahrungsmittels Getreide anderen Mühlen in Qualität und Effektivität bei weitem überlegen. Unter der Herrschaft von Kaiser Augustus werden sie gar zu einem „kriegswichtigen“ Gerät. Sie ermöglichen mit relativ geringem Aufwand an man power eine reibungslose Versorgung auch großer Truppenverbände – gerade während der Germanienfeldzüge des Kaisers ein unschätzbarer Vorteil, getreu dem Motto: Je weniger römische Soldaten Getreide mahlen müssen, desto mehr von ihnen können kämpfen. Schnell entwickelten sich Mayener und später auch Mendiger Mühlen zu einem regelrechten Exportschlager, der über den Hafen von Andernach am Rhein in weite Teile Europas und darüber hinaus verhandelt wurde. Bis heute ist die Basaltindustrie ein Wirtschaftsfaktor in der Region, wenngleich längst andere Produkte an die Stelle der Mühlsteine getreten sind.
In der Zeit um Christi Geburt …
… begann der römische Staat mit der professionellen Gewinnung des wertvollen Tuffsteins, einem Material, das sich auch heute noch hervorragend für das Baugewerbe eignet. Am Beginn stand das Bauprogramm von Kaiser Augustus zum Ausbau des frühkaiserzeitlichen Köln. Dieses ehrgeizige Bauvorhaben gab Anlass zu ausgedehnten Geländeprospektionen, die schließlich zur Entdeckung der wertvollen Lagerstätten führten. Ältester Beleg hierfür ist das sogenannte Ubiermonument in Köln. Dieser mächtige Turm aus massiven Tuffquadern war Bestandteil der ersten Stadtbefestigung, die Kaiser Augustus um 5. n. Chr., noch während seiner Germanienfeldzüge, errichten ließ. Das Monument steht für eine bei Kelten und Germanen bis dato fremde Repräsentationsarchitektur, die gezielt zur Inszenierung der Macht Roms eingesetzt wurde.
Mit den Tuffbergwerken am Laacher See-Vulkan und dem Ubiermonument fassen wir einen weiteren folgenreichen Technologietransfer: Die Einführung der Steinbauweise in Mitteleuropa. Erst die Baumeister, die im Rahmen der augusteischen Expansions- und Urbanisierungspolitik aus dem Mediterraneum kamen, brachten das Wissen um eine solche Architektur in Stein an den Rhein. Als früher Leichtbaustein war Tuff fortan ein begehrter Baustoff auf zahllosen römischen und mittelalterlichen Großbaustellen in Deutschland, Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Dänemark. Seit dem 16. Jahrhundert gewann dann ein weiteres Produkt an Bedeutung. Aus fein gemahlenem Tuffstein wurde Trass gewonnen. Mit Hilfe von Trass lässt sich ein Zement herstellen, der auch unter Wasser aushärten kann. Trass aus der Osteifel wird noch heute in ganz Europa erfolgreich gehandelt.
Nach dem Jahr 274 n. Chr., …
… nachdem der Sieg Roms über die Truppen des Gallischen Sonderreichs eine Periode reichsinterner Streitigkeiten beendet hatte, erblühte ein weiterer Industriezweig. Der Aufstieg der Mayener Keramikindustrie begann, die sich bald zu einem wichtigen Akteur am europäischen Markt entwickelte. Grundlage des wirtschaftlichen Erfolgs war die in Mayen hergestellte, sehr robuste und hitzeresistente Küchenkeramik. Die günstigen Eigenschaften dieses Geschirrs lagen an dem guten, oberflächennah anstehenden Mayener Ton. Daraus gefertigte Gefäße waren zum Kochen wesentlich besser geeignet als Produkte anderer Töpfereiorte, die bei Hitzeeinwirkung schnell sprangen. Nach dem Krisenjahr 355 n. Chr., als Alamannen unsere Region brandschatzten, stieg die Bedeutung der Mayener Keramikindustrie nochmals rapide an. Nachdem die Rheingrenze wieder gesichert war, wurde die umfangreiche, bereits zuvor serienmäßig betriebene Produktion mit Unterstützung der römischen Administration weiter gesteigert. Als european player erreichte der Mayener Keramikexport in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts Großbritannien und die Schweiz sowie Ostfrankreich und die Elbregion. Dieser wirtschaftliche Erfolg dauerte ohne Unterbrechung bis in das Mittelalter an.
Erst das Aufkommen des helltonigen Steinzeugs im späten 13. Jahrhundert bedeutete das Ende dieser gut 1000 Jahre währenden Erfolgsstory. Die nun beliebten hellen Gefäße konnten aus den Eisenoxid-reichen Mayener Tonen nicht gefertigt werden. Den Mayener Töpfern und auch der Kurtrierischen Verwaltung war das Problem wohlbekannt. Man reagierte darauf, indem einige Mayener Töpfer – wohl im Zuge der Ausdehnung Kurtriers in den Westerwald – nach Höhr-Grenzhausen abwanderten. Dort nutzten sie die anstehenden fetten, Eisenoxid-armen Tone und stellten daraus das dem Zeitgeschmack entsprechende helltonige Steinzeug her. So begründeten sie das Industrierevier des „Kannenbäckerlandes“, das mit seinem Westerwälder Steinzeug bis in die Neuzeit den europäischen Keramikmarkt prägte.
1845 meldete der preußische Bauinspektor …
… Ferdinand Nebel aus Koblenz einen „künstlichen Schwemmstein“ zum Patent an. Seine Idee, den vulkanischen Bims mit gelöschtem Kalk zu verbinden, führte zu einem neuen Industriezweig. Der anfangs von Hand betriebene, dann immer professioneller werdende Abbau des direkt unter der Oberfläche anstehenden Rohstoffes führte dazu, dass heute weite Teile des alten Industriereviers mehrere Meter tiefer liegen als zuvor. Das wirtschaftliche Potenzial dieser „neuen“ Industrie wird in der Nachkriegszeit nach 1945 besonders deutlich. Ausgerechnet das Unglück vieler deutscher Städte, die großflächige Zerstörung, half der Bimsindustrie rasch wieder auf die Beine, denn eine nie da gewesene Nachfrage nach Bimsbaustoffen war die Folge. Der Wiederaufbau Deutschlands bescherte dem Bims einen echten Boom. Um 1955 wurden in beinahe 50% aller neu errichteten Wohnungen rheinische Bimsbaustoffe verbaut. Wie die Basalt- und Tuffindustrie ist die Bimsverarbeitung auch heute noch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.
Da fehlt doch noch …
… die Gusseisenproduktion in der Sayner Hütte. Auf der rechten Rheinseite in unmittelbarer Nähe unseres antiken Steinbruch- und Bergbaureviers der Osteifel gelegen, kann sie aufgrund ihres Erfolges in preußischer Zeit durchaus unserem vormodernen Industrierevier zugeordnet werden. 1815 von den Preußen übernommen, wurde die Sayner Hütte in den folgenden fünfzig Jahren zu einem der größten Gusseisenbetriebe im Königreich Preußen. Sie versorgte das Rheinland mit Gebrauchseisen jeglicher Art und Größe und fertigte zudem Rohre, Schienen, Kanonen und Munition für den Ausbau der Koblenzer Festungen. Durch neuartige Funktionsabläufe beim Verhütten und Gießen und durch die Leistungsfähigkeit ihrer Gebrauchseisen- und Kunstgussproduktion trat sie als „Musterbetrieb“ hervor. Mit der Sayner Hütte entstand in Sayn zu Beginn des 19. Jahrhunderts eines der großen Innovationszentren der Gusseisen-Technologie. Unter preußischer Führung gelang der Übergang zur industriellen Fabrikation.
Zu guter Letzt …
… kann festgehalten werden: Das wissenschaftliche und zugleich wirtschaftliche Potenzial des alten Industriereviers im nördlichen Rheinland-Pfalz liegt in der außergewöhnlich guten Quellenbasis. Trotz tiefgreifender Landschaftsveränderungen durch die moderne Stein- und Erdenindustrie ist hier ein Bodenarchiv von internationaler Bedeutung erhalten geblieben. Zahlreiche Denkmäler des natürlichen und kulturellen Erbes Europas konnten in den letzten zwanzig Jahren erforscht, geschützt und zugänglich gemacht werden. Dazu gehören Schlackenkegel-Vulkane, Maare und Lavaströme sowie alte Steinbrüche und Bergwerke. Allesamt sind sie Zeugnisse eines bedeutenden vormodernen Industriereviers und bilden zugleich das Alleinstellungsmerkmal im Vulkanpark Osteifel.
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